Folgen und Maße

Kurzfassung eines Vortrags von Reinhard Winkler am 27.4.1998 in der Reihe

Wissenswertes aus der Mathematik


Diese Kurzfassung ist auch als TeX-Datei, als dvi-Datei und als Postscript-Datei verfügbar.
Sei (x_n) eine Folge, zum Beispiel reeller Zahlen. In natürlicher Weise kann ihr eine Folge von Wahrscheinlichkeitsmaßen (mu_n) zugeordnet werden, indem man mu_n(B) als relative Häufigkeit festsetzt, mit der die Glieder x_1, ... ,x_n in der Borelmenge B liegen. Klassisch ist der Fall, daß die Folge (x_n) im Einheitsintervall [0,1) liegt, was auch erzwungen werden kann, indem man nur die Nachkommaanteile der Glieder x_n betrachtet (Reduktion modulo 1).

Von historischer Bedeutung ist in diesem Zusammenhang die Arbeit von Hermann Weyl (Mathematische Annalen, 1916). In ihr zeigte er u.a., daß im Falle x_n = n*alpha mit einem irrationalen alpha für Intervalle B = [a,b) die Folge (mu_n(B)) stets gegen die Länge b-a des Intervalls konvergiert. Man spricht in diesem Fall von Gleichverteilung (modulo 1). Das Zukunftsweisende an Weyls Zugang war, daß er den Zusammenhang zwischen Maß und Integral ausnutzte und die Beziehung

limes (N -> oo) von [Integral von f d mu_N] =
limes (N -> oo) von 1/N * [Summe der Werte f(x_n), n=1..N] =
Integral von f d lambda

betrachtete. ( oo = unendlich, lambda bezeichne das Lebesguesche Maß.) Zunächst wies er sie für die trigonometrischen Basisfunktionen f(x) = e^{2 pi i k x}, k ganze Zahl, nach (geometrische Reihe). Da der erzeugte lineare Raum nach Weierstraß aber gleichmäßig dicht in den stetigen Funktionen liegt, vererbt sich diese Beziehung auf diese und in weiterer Folge auch auf alle f, die im Riemannschen Sinne integrierbar sind. Insbesondere erfüllen also charakteristische Funktionen von Intervallen die Beziehung, was gerade die Gleichverteilung der Folge bedeutet.

Wesentliche Fortschritte in der Erforschung der Verteilung von Folgen machten u.a. van der Corput 1935/36 (Gleichverteilung bezüglich beliebiger Borelscher Verteilungen auf den reellen Zahlen) und Hlawka und seine Schüler ab 1956 (Folgen auf topologischen Räumen und auch Gruppen). Der Zusammenhang zwischen Maßen und linearen Funktionalen (Satz von Riesz) und die damit in engstem Zusammenhang stehende schwache Topologie auf dem Raum der Wahrscheinlichkeitsmaße traten als der strukturelle Hintergrund immer deutlicher hervor. Typisch für die allgemeine Theorie ist Hlawkas Satz, daß auf einem kompakten metrischen Raum X mit Wahrscheinlichkeitsmaß mu die Menge aller bezüglich des induzierten Folgenmaßes gleichverteilten Folgen zwar volles Maß hat, im Baireschen Sinne aber dennoch mager ist. Letztere Aussage läßt sich dahingehend verschärfen, daß mit Ausnahme einer mageren Menge von Folgen auf X die Folge (mu_n) der induzierten Maße sogar dicht im Raum aller Maße liegt.

Vor allem Losert aber auch andere Autoren gingen in den siebziger Jahren mit Erfolg der Frage nach, welche Aussagen aufrechterhalten werden können, wenn man die Voraussetzungen an den Raum X abschwächt.

Verläßt man die Sphäre abstrakter Räume und fragt man nach Anwendungen der Theorie, so wird man in die richtige Richtung geleitet, wenn man an den bereits angedeuteten Zusammenhang mit dem Riemannschen Integral denkt. Der Fehler F, den man macht, wenn man das Integral über f durch endliche Summen

1/N * Summe von f(x_n), n=1..N

ersetzt, kann nämlich durch V(f)*D(x_n) abgeschätzt werden. Diese Ungleichung ist nach Koksma und Hlawka benannt. In ihr bezeichnet V(f) die Totalvariation von f und D(x_n) die sogenannte Diskrepanz der endlichen Folge x_1, ... ,x_n. D(x_n) ist ein quantitatives Maß für die Güte der Gleichverteilung. In der Tat hat sich in der numerischen Integration in mehreren Variablen dieser Zugang als der erfolgreichste herauskristallisiert.

Die maßtheoretische Theorie der Gleichverteilung findet ihre natürliche Fortsetzung in der Ergodentheorie und teilweise auch im Bereich der dynamischen Systeme. Da eine Erörterung dieser hochaktuellen Gebiete hier aber viel zu weit führte, wollen wir uns mit dieser kurzen Andeutung begnügen.

Reinhard.Winkler@oeaw.ac.at