Die Sprache der Mathematik

Im Laufe des Mathematikstudiums werden Sie bemerken, dass die "Sprache der Mathematik" ihre eigenen Konventionen hat. Bemühen Sie sich, diese Konventionen in den Vorlesungen von den Vortragenden (siehe Fußnote *) zu lernen, und sie in den Übungen zu verwenden.

1. IMPLIKATION

Verwechseln Sie nicht die folgenden Aussagen: Wenn Sie etwa zeigen wollen, dass für alle positiven natürlichen Zahlen n die Beziehung (2n+1)/(n+1) ≥ 3/2 gilt, dann können Sie dazu die Äquivalenzumformungen
 2n+1     3
 ----  ≥  -   ⇔  2(2n+1) ≥ 3(n+1) ⇔ 4n+2 ≥ 3n+3  ⇔ n ≥ 1
  n+1     2            
verwenden. (Wenn Sie die erste Formel in der obigen Äquivalenzkette nicht lesen können: Es geht um den Bruch mit Zähler 2n+1, Nenner n+1, der mindestens den Wert 3/2 haben soll.) Obwohl man diesen Beweis von links nach rechts anschreibt, laufen die relevanten Implikationen von rechts nach links, denn die Voraussetzung (n ist positive ganze Zahl) steht ganz rechts, und die zu beweisende Behauptung links. Der Beweis der relevanten Implikation "⇐" ganz rechts besteht also nicht darin, dass man 3n+2 von beiden Seiten subtrahiert, sondern darin, dass man 3n+2 zu beiden Seiten der (laut Annahme wahren) Ungleichung n≥1 addiert!

Das Anwenden von arithmetischen Operationen (Addieren, Quadrieren, etc) oder ganz allgemein von Funktionen (zB Schneiden oder Vereinigen von Mengen) auf eine wahre Gleichung liefert wieder eine wahre Gleichung: aus x=y folgt a*x=a*y, und allgemeiner f(x)=f(y). Aber: im Allgemeinen gilt nicht die Umkehrung! Zum Beispiel können Sie die (falsche) Behauptung " -3 = 3 " nicht dadurch beweisen, dass Sie sie durch Quadrieren in die wahre Behauptung 9=9 überführen. Auch können Sie aus a*x=a*y nicht immer x=y schließen. (Allerdings schon, wenn a ein Inverses hat und das Assoziativgesetz gilt: a*x = a*y ⇒ a-1*(a*x) = a-1*(a*y) ⇒ (a-1*a)*x = (a-1*a)*y ⇒ e*x = e*y ⇒ x = y.)

2. ALLQUANTOR und EXISTENZQUANTOR

Machen Sie sich (und Ihren Zuhörern -- siehe Fußnote *) immer klar, ob sie gerade
  1. von einem beliebigen Objekt x (zB einem beliebigen Vektor x) sprechen, etwa weil Sie gerade dabei sind, einen Allsatz der Form "für alle x gilt..." zu beweisen
  2. von einem beliebigen Objekt x mit einer Zusatzeigenschaft (zB einem Vektor ungleich 0) sprechen.
  3. von einem speziell ausgesuchten Objekt x sprechen, etwa weil sie gerade einen Existenzsatz der Form "es gibt ein x ..." zeigen wollen.
    In diesem Fall: machen Sie sich auch klar, wovon dieses x abhängt -- hängt die Wahl dieses x vielleicht von einem zuvor betrachteten y ab? (Etwa wenn Sie "für alle y gibt es ein x mit..." zeigen wollen.)

2a. Quantorenreihenfolge

Die Aussagen ∀x ∃y (x < y) und ∃y ∀x (x < y) sind also nicht äquivalent (wenn sich die Quantoren auf natürliche Zahlen beziehen). Wenn Sie eine Aussage mit Quantoren anschreiben, beachten Sie daher die Reihenfolge der Quantoren.

Bei einfachen Allaussagen ist es oft üblich, den Allquantor hinter die allquantifizierte Formel zu setzen ("x*x≥0 ∀x" statt "∀x ( x*x≥0)"). Vermeiden Sie diese Schreibweise, sie führt gelegentlich zu Unklarheiten! Bei einer komplizierteren Formel wie

∃y (x < y) ∀x       ????

entsteht durch den nachgestellten Quantor Unklarheit. Welche der folgenden Formeln ist hier gemeint?

Mit Klammern kann man zwar Klarheit schaffen: das führt aber zu unübersichtlichen Formeln:
(∃y (x < y)) ∀x   bzw   ∃y ((x < y) ∀x )
Besser (weil übersichtlicher) ist es, die Quantoren voranstellen: Oft ist es auch angebracht, bei den Quantoren die Menge explizit anzuschreiben, über die gerade quantifiziert wird. (Also z.B. ∀x∈R (x< y) )

2b. Versteckte Quantoren, versteckte Implikationen

Wenn Sie zum Beispiel den Satz "Blaue Autos sind schnell" formalisieren wollen, müssen Sie zuerst überlegen, was eigentlich gemeint ist. Das Wort "sind" versteckt hier eigentlich einen Quantor. Aber was ist hier gemeint? Wenn Sie der Menge aller blauen Autos bereits einen Namen gegeben haben, etwa BA, dann können Sie die gerade angegebene Allformel auch noch kürzer anschreiben, nämlich

∀b: ( [ b ∈ BA ] ⇒ [ b ist schnell ]).

Oder noch kürzer so - Achtung, hier ist die Implikation nicht mehr explizit sichtbar!

∀b∈BA: [ b ist schnell ].

Wenn auch die Menge der schnellen Objekte einen Namen hat, sagen wir S, dann geht es sogar noch kürzer:

BA ⊆ S   (Die Menge der blauen Autos ist Teilmenge der Menge der schnellen Objekte.)

Anmerkung: Hinter einer Teilmengenbeziehung P ⊆ Q steht immer eine Implikation, genauer: eine allquantifizierte Implikation, nämlich:
∀x( x∈P ⇒ x∈Q )

2c. Hinweis

Hinter einem Allquantor "∀x" steht fast immer Hinter einem Existenzquantor ∃y steht fast immer

2d. Notwendige Klammern

Wenn Sie eine Aussage ∀x P oder ∃x Q betrachten, dann empfiehlt es sich, sie als ∀x (P) bzw. ∃x(Q) anzuschreiben.

Insbesondere dann, wenn P bzw. Q eine Implikation ist, oder eine halbwegs komplizierte Aussage. Die Aussagen ∀x (A ⇒ B) und ( ∀x A ) ⇒ B sind nicht äquivalent, analog für den Existenzquantor. Daher: Stellen Sie -- erstens für sich selbst, zweitens für Ihr Publikum -- immer mit Hilfe von Klammern klar, was gemeint ist.

2e. Doppelpunkt

Direkt nach einer quantifizierten Variable schreibt man gerne einen Doppelpunkt, der als "gilt" gelesen wird: "∀x: P(x)" = "für alle x gilt die Eigenschaft P", oder "∃x: P(x)" = "es gibt ein x, sodass gilt: x hat die Eigenschaft P".

Wenn man die Aussage auf alle x mit einer gewissen einfachen Eigenschaft (wie "x in N" oder "x>0") einschränken möchte, kann man diese Eigenschaft vor den Doppelpunkt schreiben: ∃x>0: P(x) oder ∀x>0: P(x). Beachten Sie, dass die logische Bedeutung dieses Doppelpunkts vom Quantor abhängt:

Wenn Sie so eine Aussage beweisen wollen, empfehle ich, die ausführlichere Variante anzuschreiben, weil Sie da besser sehen, was zu beweisen ist: eine Implikation ("wenn-dann") oder eine Konjunktion ("und").

Sobald die einschränkende Eigenschaft komplizierter als nur "x>0" oder "x∈A" wird, verwenden Sie bitte keinen Doppelpunkt sondern das entsprechende logische Symbol. Also nicht ∀x: x2-3>0∧x>0: x>1 sondern ∀x:( x2-3>0∧x>0 x>1) oder noch deutlicher ∀x:( (x2-3>0∧x>0) x>1)

2f. es gibt genau ein

Die Aussage "es gibt genau ein x mit der Eigenschaft E" schreibt man oft als ∃|x: E(x) oder ∃!x: E(x) oder ∃=1x: E(x). Wenn man so eine Aussage beweisen will, empfiehlt es sich, diese Aussage in einfachere Teile zu zerlegen, etwa Diese 3 Aussagen sind äquivalent. Die dritte Aussage kann man auch so lesen: Die erste Aussage wäre auch dann wahr, wenn es mehr als ein x mit E(x) gibt. Die zweite Aussage wäre auch dann wahr, wenn es gar kein x mit E(x) gibt. Zusammen ergeben sie die Aussage, dass es genau so ein x gibt.

3. VARIABLE

(Eine ausführlichere Version dieser Hinweise finden Sie auf dem Weblog von Tim Gowers: Tips for handling variables)

3a. Namen

Verwenden Sie Namen (üblicherweise: Buchstaben, oder Buchstaben mit Indizes). Also nicht: "Betrachten wir einen beliebigen Vektor ..." sondern "Betrachten wir einen beliebigen Vektor x". (Das geht natürlich nur dann, wenn Sie den Namen "x" nicht schon früher vergeben haben.)
Dies hat den Vorteil, dass Sie sich in späteren Sätzen sehr einfach auf diesen Vektor beziehen können und diesen Vektor auch in Formeln verwenden können. Sie können zum Beispiel sagen "Es gibt zwei Fälle: entweder x=0, oder x ungleich 0" und müssen nicht umständlich erklären: "Es gibt zwei Fälle: entweder der gerade betrachtete Vektor ist 0, oder der gerade betrachtete Vektor ist ungleich 0."

Dies ist insbesondere wichtig, wenn Sie eine Aussage "Für alle..." zeigen sollen. Wenn Sie zeigen sollen "jede natürliche Zahl > 4 hat die Eigenschaft E", dann sollte der Beweis mit den Worten

beginnen.

3b. Guten Tag, mein Name ist Vektor x. Ich bin ein Element des Raums V.

Wann immer Sie einen neuen Namen vergeben, stellen Sie klar, um was für ein Objekt es sich handelt. Also nicht "betrachten wir ein beliebiges x", sondern "betrachten wir einen beliebigen Vektor x" oder "einen beliebigen Vektor x im Definitionsbereich von f".

Sprechen Sie nicht unvermittelt von einer neuen Variable x, ohne zu erklären, welche Rolle dieses x spielt. Fast immer können Sie eine der folgenden beiden Phrasen verwenden:

3c. Quantifizierte Variable

Wenn Sie den Existenzquantor innerhalb eines Arguments mehrfach einsetzen, etwa weil sie an einer Stelle "es gibt eine Zahl mit Eigenschaft A" und später "es gibt eine Zahl mit Eigenschaft B", dann empfehle ich Ihnen, bei der Formalisierung mit Hilfe eines Existenzquantors verschiedene Variable zu verwenden.

Also z.B.: ∃x: A(x) und ∃y: B(y). Theoretisch könnten Sie natürlich auch die zweite Formel durch die äquivalente Formel ∃x: B(x) ersetzen, das kann aber zu Verwirrung führen, weil man den Eindruck bekommen könnte, dass es ein gemeinsames x mit beiden Eigenschaften A und B geben muss.

4. WORTE, FORMELN, BILDER

Die Lösung einer Aufgabe besteht im allgemeinen nicht nur aus Formeln. Es ist in den Übungen erlaubt (und oft sogar erwünscht), dass sie ganze Sätze oder Halbsätze (wie z.B. "weil x laut Annahme nicht durch 10 teilbar ist") aussprechen oder sogar an die Tafel schreiben. Es genügt oft nicht, wenn Ihre Vorbereitung nur aus einer Rechnung besteht. (Und wenn Ihre Vorbereitung tatsächlich nur aus einer Rechnung besteht, dann führen Sie die Rechnung auch selbst durch. Es reicht nicht, etwas durchzulesen, was andere gerechnet haben! Auch nicht mehrmals.)

Wenn Sie zu Beispiel zeigen wollen, dass das Quadrat jeder geraden Zahl gerade ist, dann reicht es nicht, einfach die Rechnung (2k)2=4*k2 = 2*2*k2 anzuschreiben, sondern Sie müssen Ihre Überlegungen auch verbalisieren (oder jedenfalls: auf Anfrage verbalisieren können):

Die handwerkliche Fähigkeit, mathematische Inhalte auch korrekt formulieren zu können, ist nicht bloße Nebensache, sondern eine wichtige Qualifikation, die Sie im Lauf des Studiums erwerben bzw verbessern sollen. Üben Sie sie!

Oft ist es sinnvoll und erhellend, eine Situation (wie etwa "p<q") graphisch darzustellen (etwa indem man zwei Punkte p und q einzeichnet, wo q über p liegt, oder rechts von p).

Bedenken Sie aber, dass Sie Begründungen (auf Anfrage) auch verbalisieren müssen.
Z.B. reicht es meist nicht aus, wenn Sie die Frage "Woher wissen Sie, dass p<q ist?", mit "Das sehe ich in diesem Diagramm" beantworten. Eine bessere Antwort ist meistens

5. FALLUNTERSCHEIDUNG

5a. Fall 1, Fall 2, ...

Oft ist es notwendig, verschiedene Szenarien durchzuspielen, z.B. kann ein Argument nur für gerade Zahlen funktionieren, und ungerade Zahlen werden mit einem anderen Beweis behandelt. Ein Beweis könnte vielleicht so aussehen: Es ist üblich und auch oft hilfreich, die Fallunterscheidung auch explizit anzuschreiben; in obigem Beweis würden Sie also "1.Fall: n=5" an die Tafel schreiben, und später "2.Fall: n>5 und gerade".

5b Vollständigkeit, Redundanz

Manchmal ist es nicht ganz offensichtlich, dass tatsächlich bereits alle Fälle betrachtet wurden; die Vollständigkeit der Fallunterscheidung muss man dann noch separat beweisen. Wenn Sie zum Beispiel eine Aussage "für alle reellen Zahlen x und y: ..." beweisen müssen, genügt es nicht, nur die Fälle x<y und y<x zu betrachten; es könnte ja auch x=y gelten.

In einem Beweis müssen die Fälle nicht immer disjunkt sein. Man kann zum Beispiel eine Aussage zuerst für alle x≥0 beweisen, dann für alle x≤0.

Wenn man aber eine Konstruktion mit Hilfe einer Fallunterscheidung durchführt, in der die Fälle nicht disjunkt sind,

dann muss man auch argumentieren, dass man sich keine Widersprüche einhandelt; im Beispiel muss man zeigen, dass f(0) wohldefiniert ist (d.h., dass A(0)=B(0) gilt).

5c Division durch 0

Unmöglich. Nicht einmal an der Universität kann man durch 0 dividieren. Nicht einmal ich als Professor mit -zig Jahren an mathematischer Erfahrung kann das.

In jedem Körper gilt, dass das additiv neutrale Element (meist "0" genannt) kein multiplikatives Inverses hat. Wenn in Ihrem Beweis also irgendwo ein Inverses y-1 oder ein Quotient x/y auftaucht, und Sie noch nicht wissen, ob y gleich 0 sein könnte, empfiehlt sich eine Fallunterscheidung: Im Fall, dass y ungleich 0 ist, können Sie den Beweis einfach fortführen, aber im Fall y=0 müssen Sie sich etwas anderes ausdenken. Oft ist der Fall y=0 ohnehin trivial oder zumindest rasch zu erledigen, aber manchmal findet sich hier der entscheidende Punkt Ihres Beweises oder Ihrer Rechnung.

(Die Vollständigkeit dieser Fallunterscheidung ist klar, denn einer der Fälle "gleich 0", "ungleich 0" muss ja eintreten.)

6. OHNE BESCHRÄNKUNG DER ALLGEMEINHEIT SEI ...

Diese Phrase hört man oft in einem mathematischen Beweis (und sehr selten in der Alltagssprache). Was bedeutet sie?

Wenn wir zum Beispiel zeigen wollen, dass es zwischen zwei reellen Zahlen (genauer: zwischen zwei verschiedenen reellen Zahlen) immer eine rationale Zahl gibt, könnte der Beweis mit folgenden Worten beginnen:

Dies bedeutet ausführlicher: Manchmal ist es auch so, dass der übersprungene Teil des Beweises nicht "ganz ähnlich" zum bereits durchgeführten Teil des Beweises ist, sondern sogar leichter. (Wenn man etwa eine Aussage für alle reellen Zahlen x,y zeigen möchte, kann es sein, dass der Fall x=y viel leichter als die Fälle x<y und y<x ist; er wird dann auch gerne mit der Phrase "oBdA" übersprungen.)

Achtung! Eine gewisse Erfahrung ist nötig, um zu wissen, wann diese Phrase angewendet werden kann. Bevor Sie z.B. "oBdA x<y" sagen, überlegen Sie, welche anderen Fälle es noch gibt (hier: x>y und x=y), und ob diese tatächlich ähnlich wie der behandelte Fall x<y aussehen.

7. ZWISCHENRESULTATE

Bevor Sie einen Satz oder auch nur ein Zwischenresultat (einen Hilfssatz, ein Lemma, eine Gleichung, etc) beweisen, schreiben Sie diesen Satz bzw dieses Zwischenresultat an, etwa in der Form "Behauptung: x<y" oder "Als nächstes zeigen wir x<y".

Wenn Ihr Beweis halbwegs kompliziert ist, empfiehlt es sich, zunächst ein paar Worte über die Struktur des Beweises zu sagen:

Um sich selbst und dem Publikum klar zu machen, wie weit ein Beweis oder eine Konstruktion schon fortgeschritten ist, empfiehlt es sich, auch einen Satz der Form "Zu zeigen ist jetzt also nur noch: ... " einfließen zu lassen.

Unterscheiden Sie bitte sorgfältig die folgenden Situationen:

Am Schluss eines Beweises oder einer Konstruktion empfiehlt sich ein zusammenfassender Satz, in dem Sie noch einmal die wichtigste Tatsache wiederholen: "Also haben wir zu beliebigem y ein x mit f(x)=y gefunden, daher ist f wirklich surjektiv, was zu beweisen war."

8. INDIREKTER BEWEIS

8a. ... one of a mathematician’s finest weapons

Reduction ad absurdum is a far finer gambit than any chess gambit: a chess player may offer the sacrifice of a pawn or even a piece, but a mathematician offers the game.

Wenn Sie zeigen können, dass eine Annahme A auf einen Widerspruch führt, dann haben Sie damit gezeigt, dass A falsch sein muss. Umgekehrt: Wenn Sie zeigen können, dass die Annahme "B gilt nicht" auf einen Widerspruch führt, haben Sie damit gezeigt, dass B wahr sein muss.
Um etwa zu zeigen, dass jede natürliche Zahl n>4 die Eigenschaft E hat, können Sie einen Beweis so beginnen:

Mit geschickten Argumenten können Sie nun weitere Eigenschaften von n erschließen, bis sie vielleicht entdecken, dass n=3 sein muss, oder 2n=11, oder etc, im Widerspruch zur Annahme.

8b. Kontraposition

Die Kontraposition kann als Spezialfall des indirekten Beweises gesehen werden (oder als eigene Beweistechnik): Ein typisches Beispiel sind Aufgaben, in denen lineare Unabhängigkeit zu zeigen ist. Statt "Wenn X linear unabhängig ist, dann auch Y" zeigt man oft lieber "wenn Y linear abhängig ist, dann auch X". Die Annahme "X ist l.u." ist nämlich eine Implikation (wann immer eine Linearkombination...dann müssen alle Koeffizienten...) bzw eine negierte Aussage (Kein Element von X lässt sich ...darstellen), mit der lässt sich schwer arbeiten. Die Annahme "Y ist l.a." ist hingegen von der Struktur her einfacher: Es gibt eine nichttriviale Linearkombination, die 0 liefert. Schreiben wir sie als Summe über alle... an. Aus dieser Summe lässt sich vielleicht eine nichttriviale Linearkombination der Vektoren in X konstruieren.

9. WEITERE BEWEISTECHNIKEN

9a. Logische Umformungen

  1. Um "aus A folgt B" zu beweisen, beginnt man meist mit "Angenommen, dass A gilt". Mit Hilfe dieser Annahme muss man B zeigen. Beachten Sie:
    • Im Verlauf des Beweises dürfen Sie an beliebigen Stellen A verwenden: "... weil wir ja A angenommen haben".
    • Hingegen ist die Phrase "... daher gilt A" zwar formal wahr, aber unsinnig. Die Aussage A brauchen Sie nicht beweisen; sie gilt bereits laut Annahme.
    • Ebenso ist es nicht hilfreich, "Nehmen wir an, dass B gilt" zu sagen.
  2. Um "aus A folgt B" zu beweisen, kann man auch "A und nicht-B" annehmen, und daraus einen Widerspruch folgern.
    • Es kann also im Beweis von "Aus A folgt B" durchaus sinnvoll sein, "Nehmen wir an, dass B nicht gilt" zu sagen. Sie könnten hier das Stichwort "indirekter Beweis" verwenden.
    • Ebenso kann es sinnvoll sein, an irgend einer Stelle die Schlussfolgerung "daher gilt A nicht" zu ziehen, dann ist nämlich ein Widerspruch zur Annahme erreicht.
  3. Statt "A oder B" zu beweisen, kann man "aus nicht-A folgt B" beweisen, oder aus "nicht-A und nicht-B" einen Widerspruch herleiten.
    Wenn man "A oder B" aus einer Annahme X beweisen soll, ist es oft einfacher, die Kontraposition zu beweisen: "Aus non-A und non-B folgt, dass X nicht gilt". Oder Sie zeigen, dass aus "X und non-A" die Behauptung B folgt.
    Kurz gesagt, die folgenden drei Formeln sind äquivalent:
  4. Wenn man einen Allsatz "für alle x" beweisen will, muss dieser Beweis für beliebige Auswahl von x funktionieren; stellen Sie sich vor, dass ein böswilliger Gegner das x auswählen kann. In Beweisen empfiehlt sich hier die Phrase "Sei x beliebig..."
  5. für einen Beweis einer Aussage der Form "es gibt ein x" dürfen Sie das x wählen. In Beweisen hört man oft "Sei x wie folgt definiert" oder "Wir zeigen, dass das folgende x die Eigenschaft ... hat", oder "es gibt ein x mit dieser Eigenschaft, nämlich x:= ...":
  6. Um eine Mengeninklusion A ⊆ B zu beweisen, muss man zeigen, dass jedes Element von A auch in B liegt; ein Beweis beginnt daher oft mit "Sei x in A beliebig", und endet mit "... x in B. Jedes Element von A liegt also in B, das heißt A ⊆ B".
    Um zu zeigen, dass A ⊆ B nicht gilt, genügt es, ein einziges "Gegenbeispiel" zu finden, also ein Element von A, welches nicht in B liegt.
  7. Eine Mengengleichheit A=B beweist man oft, indem man A⊆B und B⊆A in 2 getrennten Schritten zeigt. (Machen Sie sich und Ihrem Publikum dabei immer klar, welche der beiden Inklusionen Sie gerade beweisen.)
  8. Zwei Funktionen f,g: A → B sind genau dann gleich, wenn für alle a in A die Gleichung f(a)=g(a) gilt. Wenn f und g durch explizite Formeln gegeben sind, kann man das meist leicht nachrechnen. Wenn f und/oder g durch Fallunterscheidungen definiert sind, muss man im Beweis auch möglicherweise Fälle unterscheiden.
    Um die Ungleichheit von f und g zu zeigen, genügt es, ein einziges a in A zu finden, sodass f(a) ≠ g(a) gilt.

9b. Negation

Abgekürzt:

10. Ergänzungen (WS 2015)

Mengen
Beachten Sie den Unterschied zwischen Mengen und Elementen! Die Zahl 0 ist etwas anderes als die einelementige Menge {0}, deren einziges Element die Zahl 0 ist.

"Overloading" von Symbolen
Beachten sie auch, dass die Bedeutung des Symbols "0" vom Kontext abhängt. Wenn wir von einem Körper sprechen, ist mit 0 meistens das additionsneutrale Element gemeint; wenn wir von einem Vektorraum V über einen Körper K sprechen, kann mit 0 entweder das additionsneutrale Element 0K des Körpers gemeint sein, oder das additionsneutrale Element 0V des Vektorraums. Im allgemeinen sind die beiden nicht gleich.

Gelegentlich ist mit dem Symbol 0 auch die "Nullabbildung" gemeint, das ist jene konstante Funktion (definiert auf dem gerade betrachteten Vektorraum, auf der gerade betrachteten Gruppe, etc), die für jede beliebige Eingabe den Wert 0 ausgibt.

Mit dem Symbol 1 ist oft die natürliche Zahl 1 gemeint, oft aber auch einfach das multiplikationsneutrale Element des gerade betrachteten Körpers.
Mit dem Symbol 2 ist so gut wie immer der Wert von 1+1 gemeint. Allerdings handelt es sich bei "1" oft nicht um die natürliche Zahl 1, und bei "+" nicht um die übliche Addition von ganzen Zahlen. Es kann durchaus vorkommen, dass 1+1=0 gilt; in diesem Fall ist der Bruch 1/2 undefiniert. (Ebenso kann es vorkommen, dass x+x=0 gilt, ohne dass x=0 ist. Aus x+x=0 kann man in einem Körper zunächst nur schließen, dass (1+1)x=0 ist. Wenn 1+1 ungleich null ist, kann man diese Gleichung mit dem Inversen von 1+1 multiplizieren...)

Mengennotation
Wenn eine Menge M durch M={x in V | E(x) } definiert ist, wobei E(x) eine Aussage ist, die meist irgendwie von x abhängt (z.B. "x ungleich 0" oder "∃y x=y*y), dann ist (für jedes a in V) die Aussage "a ∈ M" einfach äquivalent zu E(a). Zum Beispiel ist "x in ker(f)" äquivalent zu "f(x)=0", weil ker(f) als die Menge { x : f(x)=0 } definiert ist.

Oft empfiehlt es sich, mit der Aussage E(x) statt mit "x in M" zu arbeiten, weil wir mit Elementen oft besser umgehen können als mit Mengen; statt M ⊆ M' zeigen Sie "Wenn x in M ist, also Eigenschaft E hat, dann ist x in M'". Dazu müssen Sie natürlich immer die Definition von M im Kopf haben.

Wohldefiniertheit:
  1. Wenn wir eine Funktion f durch eine Formel der Form f(x) = ...x... definieren, wobei ...x... irgend ein Ausdruck ist, der i.A. von x abhängt, muss man überprüfen, dass dieser Ausdruck immer einen Wert liefert. ("immer" heißt: für jedes x im Definitionsbereich von f.)

    Das ist meistens kein Problem, aber bei Ausdrücken, in denen zum Beispiel multiplikative Inverse vorkommen (z.B. Brüche wie 1/(x-3)), muss man sicherstellen, dass diese auch definiert sind (im Beispiel: dass 3 nicht im Definitionsbereich liegt, oder dass f(3) anders definiert wird). Ähnliches gilt, wenn Quadratwurzeln auftreten.

  2. WICHTIG Wenn wir eine Funktion f durch eine Formel der Form f(H(x)) = ...x... definieren, wobei H eine schon bekannte Funktion ist (z.B. H(x) = x+U, Nebenklasse. In komplizierteren Fällen auch f(H(x,y)) = ...x...y... ), dann verwenden wir das Schlagwort "wohldefiniert" oder "vom Repräsentanten unabhängig", um zu behaupten, dass es überhaupt eine Funktion f gibt, die durch diese Funktion beschrieben wird. Die Wohldefiniertheit ist zu folgendem Sachverhalt äquivalent:
    • für alle (relevanten) x und x' gilt: WENN   H(x) = H(x'), DANN   ...x... = ...x'...
    (Wenn Sie so eine Implikation beweisen wollen, dürfen Sie natürlich nicht die Funktion f verwenden. Dass es eine Funktion f gibt, die die gewünschte Eigenschaft hat, ist ja noch nicht bewiesen.)
    • Beispiel: Eine der beiden folgenden Definitionen liefert eine auf den positiven rationalen Zahlen wohldefinierte Funktion, die andere nicht:
      1. ∀x,y ∈ Q+: f(x/y) = y/x.
      2. ∀x,y ∈ Q+: g(y/x) = y-x.
  3. Alternative Beschreibung des vorigen Punktes: Nehmen wir an, eine Funktion f wird durch Instruktionen beschrieben:
    • "Um f(r) zu berechnen, finden wir zunächst ein z sodass blabla (zum Beispiel: H(z)=r) , dann rechnen wir mit r und z wie folgt blabla und erhalten ein Resultat y - das soll f(r) sein.
    Damit so eine Definition eine wohldefinierte Funktion liefert, müssen wir sicher stellen, dass jeder, der diesen Instruktionen folgt, das gleiche Resultat bekommt. Zwei Beispiele, wo es um eine Funktion von den positiven reellen Zahlen in die reellen Zahlen geht:
    • Wir definieren f(x2) = x+1.
      Um f(r) zu berechnen, finden wir zunächst ein x in R mit x2=r. Dann addieren wir 1 zu x - das ist das Resultat.
      NICHT WOHLDEFINIERT! Für die Berechnung von f(9) könnten Sie 4 erhalten, ich aber -2. (Nachrechnen!)
    • Wir definieren g(x2) = |x|+ 1.
      Um g(r) zu berechnen, finden wir zunächst ein x in R mit x2=r. Dann addieren wir 1 zum Betrag von x - das ist das Resultat.
      WOHLDEFINIERT! Verschiedene Rechenwege, die beide dieser Instruktion folgen, führen zum gleichen Ziel.
Martin Goldstern, 2008, 2009,... , 2021, 2023

Fußnote *: Für alle jene, die dabei nur an männliche Zuhörer bzw. Vortragende denken: Wachen Sie auf, das 19.Jahrhundert ist vorbei!